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mm_ebooks_05_2017

wurde uns von Frankreich diktiert. Die Idee von Sankara, dass wir selbst produ- zieren, was wir konsumieren, wurde von Blaise Compaoré wieder verworfen. Der Machtwechsel zerstörte das neu gewon- nene Selbstbewusstsein des Landes und kehrte zu alten, neokolonialistischen Strukturen zurück. Trotz der Einschüchterungspolitik haben Sie sich als führendes Mitglied der Stu- dentenbewegung offen gegen das Re- gime um Blaise Compaoré gestellt ... Das war in der Zeit, als der Journalist Norbert Zongo ermordet wurde. Zongo war der einzige Journalist, dem wir noch geglaubt haben, weil er ohne Angst be- richtet hat. Als er 1998 getötet wurde, ha- ben wir gesagt: Es reicht! Dieses Ereignis hat unsere politischen Aktivitäten inten- siviert. Es gab eine große zivilgesell- schaftliche Bewegung, die dazu geführt hat, dass die Regierung handeln musste: Einige Militärvertreter wurden für die Ermordung an Norbert Zongo ins Ge- fängnis gesteckt. Wenige Jahre später mussten Sie aus Bur- kina Faso fliehen. Was war der Auslöser? Die Geschichte hat mit einem katho - lischen Priester zu tun. Bei uns gehen Pries ter ins Gefängnis, um Gefangenen die Beichte abzunehmen. Einige der Mi- litärs, die für den Tod des Journalisten Zongo eingesperrt wurden, beichteten bei einem katholischen Priester. Das war sein Todesurteil. Wahrscheinlich be- fürchtete man, dass der Priester zu viel erzählt bekommen hat. Gemeinsam mit einem Kommilitonen bin ich zu der Kir- chengemeinde gefahren, um zu bespre- chen, was man tun kann. Offensichtlich blieb unser Treffen nicht geheim. Als ich am selben Tag nach Hause fuhr, stoppte mich ein Freund auf meinem Moped ein paar hundert Meter vor meinem Zuhause und meinte, dass er etwas bei mir beob- achtet hat und ich besser nicht zu Hause schlafen sollte. Ich bin dann zu einem Be- kannten gefahren. Am nächsten Tag habe ich erfahren, dass mein Freund, der mit mir bei der Kirche war, tot war. Sie sind dann über Mali, Algerien und Frankreich nach Deutschland gereist. Wie ist es Ihnen dort anfangs ergangen? „ES TUT WEH, WENN MAN MERKT, N DASS MAN ALS MENSCH INFRAGE GESTELLT WIRD.“N Es war nicht einfach für mich. Zum einen der Kulturschock, zum anderen wusste ich auch nicht, was Asyl ist. Ich war nicht darauf vorbereitet, was das bedeutet. Ich dachte, wir leben in einer globalisierten Welt und wenn ich sehe, dass mein Leben in Burkina Faso in Gefahr ist, dann kann ich mich erst einmal irgendwoanders in dieser Welt niederlassen. Aber ich musste sechs Jahre in München und in Landsberg am Lech in Lagern leben. Ich sage be- wusst Lager und verwende nicht das be- schönigende Wort Gemeinschaftsunter- kunft. Ich durfte Landsberg ohne Geneh- migung nicht verlassen. Und wenn man um eine Genehmigung gebeten hat, hieß das nicht, dass man sie auch bekommen hat. Heute unterstützen Sie als Mitglied des Migrationsbeirats München und des Bayerischen Flüchtlingsrates andere Flüchtlinge ... Was die Geflüchteten, die heute nach Deutschland kommen, für Schwierigkei- ten haben, habe ich schon erlebt. Ich will meine Erfahrungen weitergeben und an- deren Menschen helfen. Ein Thema, das Ihnen sehr am Herzen liegt, ist Rassismus. Inwieweit sind Sie davon betroffen? Für eine schwarze Person ist Rassismus Alltag in Deutschland. Man erlebt ihn tagtäglich in öffentlichen Verkehrsmit- teln, an der Schule, in der Arbeit, bei der Wohnungssuche. Man kann schon unter- scheiden, welche Blicke nur neugierig sind und welche abwertend. Man merkt, wenn Menschen einem ausweichen. Man wird attackiert, auf der Straße be- schimpft. Wie oft habe ich schon gehört: Schau mal der Neger oder geh’ zurück in deinen Busch. Wie gehen Sie damit um? Natürlich macht einen so etwas traurig. Es tut weh, wenn man merkt, dass man als Mensch infrage gestellt wird. Aber solche Erfahrungen stärken mich auch, weil ich mir dann denke: Diese Person ist doch die, die nichts kapiert hat in dieser Welt. Und es motiviert mich, sich weiter für ein friedliches Miteinander einzusetzen. Die Protestbewegungen führten 2014 zum Sturz des Präsidenten Blaise Compaoré. Denken Sie manchmal darüber nach, nach Burkina Faso zurückzukehren? Ja, das denke ich schon manchmal. Das Problem ist einfach, dass ich nach so vie- len Jahren nicht einfach sagen kann: So ich packe jetzt meine Koffer und gehe einfach wieder zurück. Das braucht eine gewisse Vorbereitungszeit. Wie zufrieden sind Sie mit der aktuellen Regierung um Präsident Roch Marc Chris- tian Kaboré? Es ist noch nicht alles rosa, aber wir ha- ben einen großen positiven Schritt ge- macht: Wir haben den ersten demokra- tisch gewählten Präsidenten! Es gibt na- türlich noch viele Themen auf der Tages- ordnung, die noch nicht behandelt wur- den. Aber die Jugendlichen des Landes haben dem Präsidenten ein starkes Sig - nal mitgegeben. Sie haben gesagt: Wir werden euch da oben von unten kontrol- lieren. Das ist ein wichtiger Punkt und ich denke, die Regierung hat das auch ver- standen. A ZUR PERSON Geboren wurde Hamado Dipama 1974 in Zorgo, einem Dorf in Burkina Faso. Als Jugendlicher zog er in die Hauptstadt Ouagadougou, ging dort aufs Gymnasium und arbeitete nebenbei als Verkäufer und in der Gold- mine seines Onkels. Schon früh interessierte er sich für Politik und wurde zum Verfechter der postkolonialen Idee. Sein Vorbild: Thomas Sankara, Ex-Präsident von Burkina Fas0, der 1987 bei einem Putsch ermordet wurde. Als Student demonstrierte er gegen den Macht- anspruch von Blaise Compaoré. Als einer seiner Mit- streiter getötet wurde, floh er 2001 nach Deutschland. Heute ist er Mitglied im Migrationsbeirat München und Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates für die The- men Diskriminierung und Rassismus. 2007 gründete er den Arbeitskreis Panafri kanismus und unterstützte von Deutschland aus die revolutionären Bewegungen in sei- ner Heimat weiter, die 2014 zum Sturz des langjährigen Machthabers Blaise Compaoré führten. Mit der Witwe von Thomas Sankara hat Dipama bis heute Kontakt. missio 5/2017 | 13

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