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mm_ebooks_06_2017

VORSICHT SATIRE GLOSSE:N BIN ICH FROH, DASS ICH NICHT DABEI WAR, ALS ... ... ich meinen Nachbarn meinen Wohnungsschlüssel anvertraute. NACHBARN SIND laut Wikipedia „Per- sonen, die in den angrenzenden Gebäuden woh- nen oder arbeiten“. Auch die Belegschaft der Firma Rottmann, die seit 1836 Manschetten- knöpfe in Perlmutt rückverwandelt, um das Meer zu retten (diese Firma gibt’s nicht, erfunden!), kann daher zur Nachbarschaft gehören. Nach- barschaft kann lästig sein. Nicht generell. Unsere Nachbar-Galaxie regt mich nicht so auf. Ich glaube, sie heisst Androme da, ist Millionen Lichtjahre weg (unsere Galaxie misst 100 000 Lichtjahre im Durchmesser, also 100 000 mal 9,3 Billionen Kilometer!). Dimensionen, bei denen man vor offenem Fenster nackig rumlaufen kann. 9,3 Billionen ist eine mir vertraute Zahl. Die Staats- verschuldung lag vor kurzem bei genau so viel Euro. Und neun Billionen Kleinstlebewesen sind im Darm auf sieben Meter Strecke tätig. Meine Nachbarn, die Hübners, kennen weder die Andromeda-Galaxie noch die Höhe der Staats- verschuldung. Die Hübners sind irgendwie immer da. Wenn auch nur auf der anderen Straßenseite. Ich habe, seit ich hier wohne, nie niemand (!) im Fenster ihrer Küche gesehen. Ich glaube aber, die kochen dort nicht. Ein deckenhoher Kühlschrank ist zwar auch für den uninteressierten Blick (etwa beim Rollladen-Hochziehen) nicht zu übersehen und bisweilen quillt Dampf aus dem Fenster, wo- bei Herr Hübner in die Küche hinter sich Sätze ruft wie „Fisch macht immer zwei Tage Gestank!“ Aber wenn jemand kocht, kann er nicht gleich- zeitig im Fenster stehen, und das tun sie beide. Im- mer. Sie schauen, während sie leise reden, schräg an mir vorbei, als wollten sie die nächste Galaxie beobachten. Mal ist Herr Hübner im Rahmen und schaut schräg an mir vorbei, wenn ich nach Hoch- ziehen des Rolladen (meist um 11 Uhr, ich bin Büh- nenmensch, Nachtarbeiter) „Hallo“ rufe (muss ich dann ja), – oder seine Gattin hat die erste Reihe. Im gelegentlichen Gespräch auf der Straße heißt sie niemals „meine Frau“, sondern „die Frau“. Vor einiger Zeit plante ich eine längere Reise und verfiel auf die Idee, den Hübners meinen Brief- kastenschlüssel anzuvertrauen, weil ich die Post nicht lagern lassen wollte. Wir sind seit gut zehn Jahren Nachbarn. 4000 Mal hatte ich Hübners „Hallo“ zugerufen, kurz vor Mittag. Das war Ba- sis für hinlängliches Vertrauen. Sollten sie wirk- lich meine Post öffnen oder meine Karten lesen wollen?! Sie erboten sich, meine Blumen zu gießen, dazu bräuchten sie alle Schlüssel. Ich habe keine Pflanze. Erstaunen. Kein Lebewesen? Nein, keines. Wollten sie in meine Festung, in meine Intim- sphäre dringen, während sie doch sonst eher an der nächsten Galaxie interessiert schienen?! Ich gab einem wirklich guten Freund, der wegen sei- nen Nachbarn mehrfach umgezogen war (er wurde Opfer von Rufmord, anonymen Drohungen, unbe- stellten Lieferungen, Polizei-Besuchen etc.), An- weisung für die Post, die er zu schreiben hatte. In Abständen von vier Tagen schrieb er Briefe, die Dampfbädern wenig entgegenzusetzen hatten. Navid, Muslim nordafrikanischer Herkunft, ist des Arabischen in Wort und Schrift mächtig. Auf dem ersten Brief sollte er den Absender arabisch schrei- ben und in lateinischen Lettern untertiteln. Drei Briefe sollten arabische Seiten enthalten. Die an- deren erbat ich in schlechtem Deutsch. Unkonkret auf die arabischen Briefe anspielend. Hübners hatten sich nie für die ferne Andro- meda, sondern die angrenzende Nachbarschaft in- teressiert. Das ist menschlich. Der Dolmetscher der Polizei, die sie riefen, fand in den arabischen Brie- fen Liebesgedichte vor und Hinweise auf einen Ver- lag, der sie vielleicht drucken möge. Das gab auch den deutschen Schreiben einen harmlosen Sinn. Hübners wissen, was ich von der Polizei weiß. Wie sie den Küchengeruch ohne Lüften ertragen, ist mir egal. Ich kann nackig bei Licht in der Woh- nung tanzen. Vielleicht sehen sie es durch ihre ge- schlossenen Vorhänge. Etwas hat sie beschlichen. Etwas, das ich jedem Nachbarn wünsche. Scham- gefühl. Das ist doch das mindeste. A g n i l r a H . M : o t o F CLAJO HERRMANN V VVVVV geboren 1955 in Frankfurt, war evangelischer Gemeindepfarrer bevor er zum Kabarett wechselte. Gemein - sam mit Pfarrer Hans Greifen stein tritt Herrmann schon seit 1997 als Baben - häuser Pfarrerkabarett auf. 2004 gab er seine Tätigkeit als Pfarrer dann ganz auf und tourte mit seinen ersten Soloprogrammen durch Deutschland – bis heute. Auf der Bühne ist Herrmann Gesellschafts-Ironiker und Alltags- Satiriker. „Das Leben schreibt die Stücke. Ich treibe sie auf die Spitze“, sagt er. Er kommentiert und analysiert. Sein Markenzeichen: der hessische Dialekt. Heute predigt Herrmann zwar nicht mehr vor der Gemeinde. Seinen Glauben hat er deshalb aber nie aufgegeben. Infos und Termine: www.clajo-herrmann.de 28 | missio 6/2017

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