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mm_ebooks_01_2018

versorgte. Die Menschen schliefen in Kir- chengebäuden und in Gemeindesälen, oder zelteten auf offenem Feld. Andere kamen bei Verwandten unter. „Dann mie- teten wir mehrere Apartments für sie“, sagt Stephen Rasche. Für etwa 30 000 die- ser Flüchtlinge zahlte die Kirche die Un- terkunft. Im christlich geprägten Stadt- viertel Ankawa entstand außerdem ein großes Flüchtlingslager, in dem bis heute vor allem Christen leben. Sie fühlen sich von der UNO und dem Rest der Welt im Stich gelassen „Ohne die Hilfe der Kirche hätten diese Menschen nicht überlebt,“ sagt Stephen Rasche und er übertreibt nicht. Denn in den Wirren des schnellen Eroberungszu- ges durch den IS waren internationale Ins - titutionen wie die UNO mit der großen Zahl an Hilfesuchenden schlichtweg überfordert. Vom IS flohen Muslime ge- nauso wie Minderheitenvölker, etwa die Christen und Jesiden. „Da dachte man So haben sich nur wenige Politikvertreter offen für eine bewusste Unterstützung der Christen ausgesprochen – und oft waren das Staatenlenker, deren Politik durchaus umstritten ist. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban war der erste, der erklärte: Sein Land wolle in ers- ter Linie den Christen im Nahen Osten zur Hilfe kommen. Eine eigens eingerich- tete Behörde in Budapest bekam ein Startbudget in Höhe von über drei Mil- lionen US-Dollar zugewiesen. Inzwischen hat sich Mike Pence ähnlich geäußert, der Vizepräsident der USA. Im Namen seines Präsidenten Donald Trump sagte er, die USA würden künftig die UNO umgehen und gezielte Wiederaufbauhilfe an die christlichen Kirchenoberhäupter des Na- hen Ostens vergeben. In der Tat sind die Kirchenober- häup ter wichtige Identifikationsfiguren. „Wenn die Menschen sehen, dass ich wie- der zurückgehe, dann tun sie das auch,“ sagt zum Beispiel Jacques Ishak Saleba. Das Leben kehrt zurück in den Straßen von Teleskof. Die Menschen hoffen, dass der Frieden hält. VOLK OHNE STAAT Im November 2017 tauchten plötzlich diese Pla- kate auf: „Amerika hat uns betrogen!“ – so war es in den Straßen von Erbil zu lesen. Erbil ist die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Norden des Irak. Wenn es nach der kurdischen Autonomie - regierung geht, dann soll von hier aus auch der neue unabhängige Staat Kurdistan regiert wer- den. In einem Referendum im September 2017 hatten 90 Prozent der irakischen Kurden für ei- nen eigenen Staat gestimmt. Die Gelegenheit dafür schien günstig, hatten sich die Kurden doch als verlässlicher Partner im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien und im Irak erwiesen. Die USA lieferten Waffen, die deutsche Bundeswehr bildete Peschmerga- Kämpfer militärisch aus. Im Gegenzug für den Einsatz gegen IS und Co., so die Überlegung von Kurden-Präsident Barzani, sollte nun endlich der eigene Staat erreicht werden. Doch die Verbündeten aus dem Westen winkten ab – sie wollen sich keinen neuen Konflikt mit den Regionalmächten Türkei und Iran einhandeln. Auch dort leben ja große kurdische Bevölke- rungsteile, die wohl ebenfalls gerne in Kurdistan leben würden. Auch die Zentralregierung in Bag- dad wird die Kurden kaum in die Unabhängigkeit entlassen und diesen Teil des irakischen Staats- gebiets aufgeben. Noch dazu, da die Kurden auch die Öl-Stadt Kirkuk für sich beanspruchen. Bald nach der Volksabstimmung rückte die irakische Armee auf Kirkuk und andere Gebiete vor. wohl: Die Christen bekommen ja schon genug Hilfe,“ beschreibt Stephen Rasche seine Erfahrung. Hat der Westen, hat man in Europa zu lange unterschätzt, in welch großer Ge- fahr sich besonders die christliche Min- derheit im Irak befand? Man wollte nie- manden bevorzugen oder benachteiligen, muslimische und christliche Flüchtlinge nicht gegeneinander ausspielen, und vor allem nicht der IS-Propaganda nützlich sein, und als „Feinde des Islam“ gelten. Auch er als früherer chaldäischer Bischof musste vor dem IS fliehen. Seine Stadt Karakosch, zwischen Erbil und Mossul gelegen, ist die größte noch verbliebene Stadt des Irak mit mehrheitlich christli- cher Bevölkerung – wenn die Menschen sich denn wieder hier ansiedeln können. „Ich sehe die Chancen bei 50 zu 50“, sagt Stephen Rasche aus Erbil. Bischof Ishak jedenfalls wird demnächst wieder in sein Bischofshaus zurückkehren. Aber noch ist es nicht so weit, wie ein Besuch dort zeigt. Die Kurden zogen sich einstweilen kampflos zu- rück, um keinen neuen Krieg zu riskieren. Und so scheint es, dass sich der Traum vom kurdischen Nationalstaat bis auf weiteres nicht erfüllen wird. Präsident Barzani hat bereits seinen Rück- tritt angekündigt. 18 | missio 1/2018

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