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mm_ebooks_01_2018

BLICKWECHSEL IRAK Die eine arbeitet mit Glas, die andere mit Tinte. Zwei Künstlerinnen, die ihre Heimatländer Irak und Afghanistan gegen Deutschland eingetauscht haben. „Wenn wir morgens vor die Türe gehen, sehen wir Lei- chen auf der Straße“, erzählen ihr die Angehörigen am Tele- fon. Bagdad ist nicht mehr die Stadt, die Mahmud ein- mal kannte. Einst hat sie in der lebendi- gen Metropole Malerei und Grafik studiert. Sie hat als Kunstlehrerin gearbeitet und ihre eigenen Bilder erfolgreich ausgestellt. Auch im Ausland. Als Mahmud 1998 für eine Vernissage nach Jordanien reist, fasst sie einen Entschluss: Sie kehrt nicht wieder zurück in den Irak. „Es war eine spon- tane Entscheidung“, sagt sie. Die Arbeitsbedingungen für Maler seien schlimm ge- wesen. „Wir konnten uns überhaupt nicht frei entfal- ten.“ Künstler verschwanden im Gefängnis oder verließen reihenweise das Land. „Von meiner Generation ist fast niemand mehr dort“, sagt sie. BIS IN DIE NACHT ist sie an ihrem neuesten Werk gesessen. Mit feinen Tinten- strichen hat sie das Portrait einer Frau mit ernster Miene gezeichnet. Oder besser ge- sagt: Sie hat es geschrieben. Denn die irakische Künst- lerin Iman Mahmud formt ihre Bilder aus winzigen ara- bischen Schriftzeichen. Ange- lehnt an die Kunst des Schön- schreibens, der Kalligrafie. Es sind ihre Erlebnisse, ihre Ängs- te und Sorgen, die auf Papier eine weibliche Gestalt anneh- men. „Wie ein Tagebuch“, sagt Mahmud. Und doch für den Betrach- ter nicht sofort zu erkennen. Erst wenn man dicht vor den Bildern steht, erkennt man die fein geschwungenen Buchsta- ben. In jeder Haarsträhne, in jedem Auge verbergen sich intime Gedanken der Künstlerin. Ihre Motive sind Frauen aus der arabischen Welt. Vor allem aus ihrer Heimat. „Die Gesichter finde ich im Internet“, sagt Mahmud. Oft sind es Opfer des Irak-Krieges, Opfer von Vergewaltigungen oder Zwangsheirat, deren Schicksale sie tief berühren. Sie nimmt diese Personen als Inspiration für ihre Portraits, gibt ihnen ein trauriges oder ernstes Gesicht, eine selbstbewusste oder ängstliche Haltung. Die Serie der „geschriebenen Frauen“ ist ein stummes Mahnmal für das Leid in ihrem Land – und sie macht einen Großteil ihrer Arbeit aus. Mahmud selbst weiß, wie sich Krieg anfühlt. Den ersten und zweiten Golfkrieg in den 80er und 90er Jahren erlebt sie in ihrer Geburtsstadt Bagdad mit. Den dritten verfolgt sie aus dem Ausland. Als US-Präsident Bush 2003 im Irak einmar- schiert, lebt Mahmud bereits seit fünf Jahren in München. Aus der Ferne bangt sie um ihre Mutter und ihre Geschwister. Iman Mahmud (61) Künstlerin aus dem Irak „Aber irgendwann kommen wir Künstler wieder zurück.“ Wann, das kann Mahmud nicht sagen. Ihre große Hoffnung lag auf der Zeit nach Saddam Hussein. Nun gibt es ihn nicht mehr. „Und trotzdem ist nichts besser geworden“, sagt sie. „VON MEINER GENERATION IST NIEMAND MEHR DA“ Im März dieses Jahres hat Mahmud ihre Heimat zumin- dest wieder besucht – zum ersten Mal seit über zwanzig Jah- ren. In Sulaimaniyya, im Kurdengebiet, hat sie ihre Schwester getroffen. „Ich träume heute noch davon“, schwärmt sie. Gereist ist sie mit deutschem Pass. „Ja, ich bin jetzt Deut- sche.“ Zumindest auf dem Papier. Am Anfang fiel es ihr schwer, ihre irakischen Dokumente einzutauschen. „Ich habe lange gewartet und dann beschlossen, es lohnt sich nicht wei- ter.“ Denn „in Deutschland“, sagt sie, „kann ich wenigstens wirklich frei sein – als Künstlerin und auch als Frau.“ A STEFFI SEYFERTH missio 1/2018 | 25

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