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mm_ebooks_04_2017

Der Fotograf Chris Jordan hat ein ex- trem einprägsames Bild geschossen auf dem Midway-Atoll, das auch in diesem Müllstrudel liegt. Es zeigt einen verrot- teten Albatros, dessen Bauch voller Pla- stikteile ist. Er verendete daran, dass er das Plastik gefressen hat, das im Meer schwimmt. Das war die Spur: Wir folgen dem Plastik, aber wir folgen auch dem Albatros, und beide treffen sich auf Ha- waii. Der Puppenbauer Michael Pietsch, mit dem ich oft zusammenarbeite, hat dann aus dem gesammelten Müll von „Kamilo Beach“ eine Albatros-Puppe nachgebaut. Das heißt, der tote Albatros wird gewissermaßen auf unserer Bühne wieder lebendig. Ist denn ein Leben ohne Plastikmüll denk- bar? Im Stück kommt der Satz vor: „Plastik ist ein Material, das jeder benutzt, aber nie- mand mag.“ Es ist unausweichlich. Es wird überall verwendet. Die Versuche, ohne Plastik auszukommen – das kann man natürlich mit Lebensmittelverpak- kungen im Supermarkt versuchen, aber bei jeder Reise, bei jedem Arztbesuch, bei jeder alltäglichen Tätigkeit ist es präsent. Fast alltäglich ist inzwischen auch das Smartphone. In „Coltan-Fieber“ folgten Sie der Spur der Rohstoffe, die in unseren Handys verbaut werden. Der Hersteller Vodafone hatte irgend- wann einmal diese Werbung: „Jedes Jahr ein neues Smartphone!“ Wir haben in dem „Coltan“-Stück versucht, ganz klar zu machen, dass wir nicht dafür plädieren, dass wir alle nicht mehr telefonieren. Kommunikation ist ja das, was uns als Menschen ausmacht. Es ist fantastisch, dass ich den Schauspieler Yves Ndagano im Kongo jederzeit anrufen kann. Bloß: Wie passiert das, welche Mittel brauche ich dazu, und wie schnell muss ich das Handy wirklich durch ein Neues ersetzen? Auch dafür unternahmen Sie weite Reisen, arbeiteten mit Künstlern aus Afrika zu- sammen. Wie kam es dazu? „Coltan-Fieber“ ist sehr lange gewach- sen. Im Ostkongo haben wir Yves Nda- gano getroffen, der später Schauspieler in „Coltan-Fieber“ wurde. Er hatte den Ost- kongo noch nie verlassen, wuchs da auf, „AM TAG DER GENERALPROBE STAND DAS PARLAMENT IN FLAMMEN.N WIR WAREN ZAUNGÄSTE DER REVOLUTION IN BURKINA FASO.“N wurde als Kind entführt, war zuerst Kin- dersoldat und später Schürfer in einer Coltan-Mine. Wir haben uns entschlos- sen, dass er Teil unseres Projekts werden soll. Es war aber extrem schwierig, ein Vi- sum für Deutschland zu bekommen. Also haben wir gesagt: Wir treffen uns in Bur- kina Faso, um das Stück bei einem Thea- terfestival 2014 zu produzieren. Wir ha- ben in Ouagadougou in brütend heißer Sonne angefangen zu proben. Und wurden von den politischen Ereignis- sen eingeholt. Die Entstehung des Stücks war extrem turbulent durch die burkinische Revolu- tion. Wir reisten im Oktober 2014 hin, und eine Woche vor der Premiere hieß es: Prä- sident Blaise Compaoré will durch ein Referendum die Verfassung ändern, da- mit er länger im Amt bleiben kann. Es gab Demonstrationen, die Proteste schwollen zu Mitte der Woche massiv an. Am Tag unserer Generalprobe stand das Parla- ment in Flammen. Am 31. Oktober hat der Präsident das Land verlassen. An diesem Tag hätte die Welturaufführung von „Col- tan-Fieber“ stattfinden sollen. Man hatte wirklich das Gefühl, man ist im Auge des Sturms dabei. Die Anlage des Theaterfes - tivals stand auf dem „Place de la Revolu- tion“, wir waren also fast so etwas wie Zaungäste. Wir konnten die Premiere dann am nächsten Vormittag spielen. Danach waren Sie auf Tournee in Deutsch- land und traten auch im Kongo auf. Wie geht es mit „Coltan-Fieber“ weiter? Wir versuchen, das Stück noch einmal zu- rück in den Kongo zu bringen. Dahin, wo die Minen sind, im Ostkongo. Da haben wir noch nicht gespielt, nur in der Haupt- stadt Kinshasa, die davon sehr weit ent- fernt liegt. Das ist ein Traum, den wir mit dieser Produktion noch haben. Wir wol- len an die Orte reisen, wo das Thema so- zusagen in der Erde vergraben liegt, näm- lich wo die Coltan-Minen sind. Glauben Sie, dass Sie mit Theater Einfluss auf Politik und Gesellschaft ausüben kön- nen? Dass es die Welt besser machen kann? Als ich vor zehn Jahren als Regisseur an- fing, war politisches Theater fast noch ein Schimpfwort. Jetzt gibt es auf der Straße und in den Medien so viel Polemik, und ich habe das Gefühl, dass ein neues poli- tisches Theater darin besteht, dass wir die Widersprüche, in denen wir nun mal le- ben, und die wir auch nicht abschaffen können, indem wir laut schreien – dass man die erstmal beschreibt und zeigt und anhand von Lebensläufen von Menschen – oder vielleicht einem Albatros – sichtbar macht. „Die Meinung“ ist ein bisschen das Gift der Gegenwart. Nicht alles muss gleich in einer „Meinung“ enden. Erst einmal ist es wichtig, Menschen und ihre Geschichten zu verstehen. A AUFFÜHRUNGSTERMINE „Der siebte Kontinent“ ist demnächst noch an einigen Bühnen zu sehen: Beim deutsch-afrikanischen „africologne“-Festival in Köln gibt es am 22. und 23. Juni 2017 insgesamt vier Aufführungen. Genaue Termine: www.africologne-festival.de Das Staatstheater Mainz, an dem Jan-Christoph Gockel Hausregisseur ist, zeigt das Stück ab 26. August 2017. Der Regisseur, 1982 in Gießen geboren, inszenierte bisher neben vielen Klassikern wie Shakespeares „Hamlet“ und „Macbeth“ auch „Kongo Müller“, über einen deutschen Söldner in Afrika, und „Öl!“, über den Erdöl-Boom in den USA. „Coltan-Fieber“ war eine Co-Produktion mit Künstlern aus Belgien, Haiti, Burkina Faso und dem Kongo. Bild oben: Den Tod im Nacken: Szene aus „Coltan-Fieber“, ein Theaterstück über die Rohstoffjagd im Kongo. missio 4/2017 | 13

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